Sonderkündigungsschutz, keine Unkündbarkeit bei Betriebsratsmitgliedern
Der Sonderkündigungsschutz soll Mitglieder des Betriebsrats davor schützen, bei der Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen durch den drohenden Arbeitsplatzverlust erpressbar zu werden. Er ist jedoch kein Freifahrtschein für Verletzungen der arbeitsvertraglichen Pflichten. Genauso wenig ist er eine Arbeitsplatzgarantie völlig losgelöst von der Entwicklung der betrieblichen Situation.
Unter welchen Voraussetzungen einem Betriebsratsmitglied gekündigt werden kann, hängt von der Art der Kündigung ab.
Ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
Einem normalen Arbeitnehmer kann personenbedingt, verhaltensbedingt oder betriebsbedingt gekündigt werden. Bei Betriebsratsmitgliedern ist die fristgemäße, ordentliche Kündigung gesetzlich jedoch ausdrücklich ausgeschlossen (§ 15 Abs. 1 KSchG). Allerdings existiert eine Ausnahme von diesem Verbot: Wird der Betrieb stillgelegt, kann auch dem Betriebsrat gekündigt werden. Und auch schon vorher ist bei zwingenden betrieblichen Gründen eine Kündigung möglich.
Zwingend bedeutet: Zu einfach darf der Arbeitgeber es sich dabei nicht machen. Wird beispielsweise nur ein Betriebsteil stillgelegt, muss das Betriebsratsmitglied vorrangig in einer anderen Abteilung weiterbeschäftigt werden. Eine Kündigung ist in diesem Fall nur zulässig, wenn es aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, das Betriebsratsmitglied in einer anderen Abteilung zu beschäftigen (LArbG Mecklenburg-Vorpommern, 22.03.2017, 3 Sa 231/16 und vom 11.07.2017, 5 TaBV 13/16).
Kommt es zu einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht, liegt die Beweislast beim Arbeitgeber. Die betriebsbedingte Kündigung eines Betriebsratsmitglieds muss dann wirklich stichhaltig begründet werden.
Ein weiterer fataler Fehler wäre es, wenn bei der ordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds der Betriebsrat (als Gremium) nicht angehört wird.
Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes
Eine „außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund“ ist wie bei jedem anderen Arbeitnehmer auch bei einem Betriebsratsmitglied möglich. Voraussetzung ist, dass der Kündigungsgrund tatsächlich eine sofortige, fristlose Kündigung rechtfertigt.
So war beispielsweise die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen umfassender unzulässiger Konkurrenztätigkeit zulässig. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 401/17). Einem Betriebsratsmitglied außerordentlich zu kündigen, ist grundsätzlich immer dann möglich, wenn bei einem anderen Arbeitnehmer ebenfalls die sofortige Kündigung gerechtfertigt: etwa bei Straftaten am Arbeitsplatz wie Diebstahl, Unterschlagung sowie körperlichen oder sexuellen Übergriffen.
Entscheidend ist dabei die Gesamtsituation. Ob eine außerordentliche Kündigung wirksam ist, hängt stets von den konkreten Umständen ab. Das Vertrauen in den Arbeitnehmer muss derart erschüttert sein, dass es dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu warten.
Verdachtskündigung eines Betriebsratsmitglieds
Eine Besonderheit stellt die Verdachtskündigung dar. Sie kommt dann in Betracht, wenn ein Mitglied des Betriebsrats in dringendem Verdacht steht, gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen zu haben, ohne dass dies erwiesen ist. Allerdings muss der Arbeitgeber alles Zumutbare unternommen haben, um den Verdacht aufzuklären. Dazu gehört unter anderem eine Anhörung des Arbeitnehmers selbst.
So musste das Landesarbeitsgericht Köln entscheiden, ob die Verdachtskündigung eines Lagermitarbeiter und Betriebsratsmitglieds zulässig war. Eine Videoüberwachungsanlage hatte aufgezeichnet, wie der Mann Warensendungen mit Festplatten aus dem Aufnahmewinkel der Überwachungskamera schob. Spätere Aufnahmen zeigten ihm beim Verlassen des Geländes mit einem größeren Karton. Als der Arbeitgeber ihn mit dem Fehlen von rund 80 Festplatten konfrontierte, konnte das Betriebsratsmitglied für deren Verschwinden keine plausible Erklärung liefern. Die Richter hielten in diesem Fall die außerordentliche Kündigung für gerechtfertigt (LArbG Köln 06.07.2018 -9 TaBV 47/17).
Arbeitgeber dürfen die formellen und inhaltlichen Hürden, die bei einer Verdachtskündigung zu überwinden sind, nicht unterschätzen. Zum einen kann die Trennung daran scheitern, dass der Arbeitnehmer mit einer plausiblen Alternativversion des Geschehens aufwarten kann. Zum anderen werden bei Verdachtskündigungen häufig formale Fehler begangen. Bereits eine zu kurzfristig anberaumte Anhörung lässt sie unwirksam werden.
Aber: Wenn die Verfehlung bei einem Nicht-Betriebsratsmitglied keine fristlose, sondern bloß eine ordentlichen fristgerechten Kündigung rechtfertigen würde, dann kann dem BR-Mitglied für das gleiche Verhalten nicht gekündigt werden. Dafür sorgt der Sonderkündigungsschutz für Arbeitnehmervertreter.
Schriftliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen
Wichtig: Für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund bleibt wenig Zeit. Sie muss spätestens zwei Wochen, nachdem der Arbeitgeber von den kündigungsrelevanten Vorgängen erfahren hat, erfolgt sein. Wie jede Kündigung im Arbeitsrecht muss sie schriftlich geschehen.
Anhörung des Betriebsrats
Auch bei der außerordentlichen Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats muss die Zustimmung dieses Gremiums eingeholt werden (§ 103 BetrVG). Wenn es die Zustimmung verweigert, bleibt nur der Gang vors Arbeitsgericht: Eine arbeitsgerichtliche Entscheidung ersetzt die Zustimmung des Betriebsrats.
Allerdings ist diese immer auch eine Zeitfrage, denn gleichzeitig läuft ja die Zwei-Wochen-Frist für die fristlose Kündigung. Selbst wenn sich die Zustimmung des Arbeitsgerichts innerhalb dieser Frist einholen lässt, kann die Kündigung noch nicht ausgesprochen werden, wenn das gekündigte Betriebsratsmitglied dagegen Rechtsmittel einlegt.
Immerhin reicht es gemäß gängiger Rechtsprechung aus, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat innerhalb der Zwei-Wochen-Frist um die Zustimmung gebeten hat und die Kündigung unverzüglich nach deren Erteilung oder einer positiven Entscheidung des Arbeitsgerichts ausspricht.
Nachwirkender Kündigungsschutz
Der Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder endet nicht, wenn die Amtszeit als Arbeitnehmervertreter endet, sie genießen anschließend einen nachwirkenden Kündigungsschutz. Ihr Sonderkündigungsschutz entfällt erst ein Jahr nach Ablauf der Amtszeit.
Als Alternative: Aufhebungsvertrag mit einem Mitglied des Betriebsrats
Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem Betriebsratsmitglied außerordentlich aus verhaltensbedingten Gründen kündigen, kann er das Risiko eines Kündigungsschutzprozesses umgehen, indem er einen Aufhebungsvertrag schließt.
Für das Bundesarbeitsgericht stellt eine solche Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung sowie anderer Zuwendungen keine Begünstigung i.S.d. § 78 Satz 2 BetrVG dar (Urteil des BAG vom 21.03.2018, 7 AZR 590/16).
Natürlich hängt es vom Betreffenden ab, ob ein Aufhebungsvertrag zu vertretbaren Konditionen Aussicht auf Erfolg ab. In dieser Situation ist Verhandlungsgeschick gefragt. Die Erfahrung zeigt, dass es in solchen delikaten Situationen von Vorteil sein kann, die Verhandlungen einem Anwalt als externen Beauftragten zu überlassen, der einerseits die arbeitsrechtliche Lage genau überblickt und andererseits für den Arbeitnehmer emotional unbelastet ist.
Weitere Alternative: Ausschluss aus dem Betriebsrat
Eine Alternative zur Trennung von einem Betriebsratsmitglied ist die Klage auf dessen Ausschluss aus der Arbeitnehmervertretung. Voraussetzung ist allerdings, dass der Betreffende seine Pflichten als Betriebsratsmitglied verletzt hat.
Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Münchens zeigt, wie ein solcher Fall in der Praxis aussehen kann: Ein Betriebsratsmitglied verlangte vom Arbeitsgeber einen Entgeltausgleich, während gleichzeitig der Betriebsrat als Gremium über die Regelung der Schichtarbeit durch Betriebsvereinbarung verhandelte. Dabei kündigte das betreffende Betriebsratsmitglied an, die Betriebsvereinbarung bis einer Entscheidung über seine private Forderung zu boykottieren. Das Landesarbeitsgericht sah darin eine grobe Pflichtverletzung, die einen Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertigte (LArbG München, 17.01.2017 – 6 TaBV 97/16).
Erfolgreiche Trennung trotz Sonderkündigungsschutz
Wie in allen Fällen, in denen Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz genießen, erfordert die Trennung von einem Betriebsratsmitglied umfassende arbeitsrechtliche Detailkenntnisse und ein kluges strategisches Vorgehen.
Nicht in allen Fällen gibt es für eine solche Kündigung eine Perspektive. Trotzdem: Die erfolgreiche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nicht unmöglich. Es kommt darauf an, die Aussichten im eigenen Fall genau einzuschätzen. In jedem Fall gehört eine solche Kündigung in die Hände eines erfahrenen Rechtsanwalts für Arbeitsrecht.
Markus Bauer, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt Markus Bauer ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und unterstützt von den drei Standorten seiner Kanzlei in Hannover, Hamburg und Hameln aus Arbeitgeber bei der Lösung arbeitsrechtlicher Herausforderungen. Die optimale Lösung mitbestimmungsrechtlicher Fragen ist ein besonderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit.