Die Selbstverteidigung wird im deutschen Notwehrrecht als Grundrecht geschützt.
Selbstverteidigung in letzter Sekunde: Eine unschuldige Frau setzt ihr Notwehrrecht durch, um sich vor einem Angriff zu schützen.

Notwehr im deutschen Strafrecht: Zwischen Recht und Vorwurf

Die Notwehr ist ein Grundpfeiler des deutschen Strafrechts. Sie schützt das Recht jedes Einzelnen, sich gegen einen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen, ohne sich dabei strafbar zu machen.

Doch in der Praxis zeigt sich, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte häufig hohe Anforderungen an die Notwehrhandlung stellen – oft zum Nachteil derjenigen, die sich in einer Gefahrensituation verteidigt haben. Dies führt nicht selten dazu, dass Menschen, die ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum schützen wollten, nachträglich für ihre Handlungen strafrechtlich belangt werden. Wie weit reicht das Recht auf Notwehr, und wo liegt die Grenze?

Rechtliche Grundlagen der Notwehr

Das deutsche Strafgesetzbuch regelt die Notwehr in § 32 StGB:

  1. Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
  2. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Daraus ergeben sich drei wesentliche Voraussetzungen für eine gerechtfertigte Notwehr:

  • Rechtswidriger Angriff: Der Angriff muss ohne rechtliche Grundlage erfolgen und ein geschütztes Rechtsgut (z. B. Leben, Gesundheit, Eigentum) betreffen.
  • Gegenwärtigkeit: Der Angriff muss unmittelbar bevorstehen, gerade stattfinden oder noch andauern.
  • Erforderlichkeit: Die Verteidigungshandlung muss das mildeste Mittel sein, das den Angriff wirksam abwehrt.

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Keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne

Entgegen einer oft verbreiteten Annahme fordert das deutsche Notwehrrecht keine Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen dem angegriffenen und dem verletzten Rechtsgut. Das bedeutet, dass jemand sein Leben auch durch tödliche Gewalt verteidigen darf, selbst wenn der Angreifer „nur“ Eigentum verletzen möchte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Angreifer die Situation selbst herbeiführt und damit das Risiko trägt, dass sein Angriff schwerwiegende Konsequenzen hat.

Allerdings gibt es sozialethische Grenzen: Eine Notwehrhandlung gilt als „nicht geboten“, wenn sie extrem unverhältnismäßig erscheint, etwa bei Bagatellangriffen (z. B. ein unbewaffneter Diebstahl einer Kleinigkeit) oder Angriffen durch Schutzbedürftige (z. B. Kinder).

Der rechtliche Graubereich: Notwehr in der Praxis

In der Theorie klingt das Notwehrrecht klar und eindeutig. Doch in der Praxis sehen sich Menschen, die sich verteidigen, häufig mit strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert. Ein klassisches Beispiel ist der Hausfriedensbruch oder Einbruch:

Beispiel: Der Einbrecher im Haus

Ein Einbrecher dringt nachts in ein Wohnhaus ein. Der Bewohner, in Angst um sein Leben, greift zu einer Schusswaffe und erschießt den Eindringling. Ist das Notwehr?

Formal betrachtet ja, wenn der Bewohner davon ausgehen musste, dass der Angreifer sein Leben bedroht. Doch in der Praxis stellen Staatsanwaltschaften häufig die Frage, ob der tödliche Schuss wirklich erforderlich war. Hätte ein Warnschuss genügt? War der Angreifer vielleicht unbewaffnet und auf der Flucht? Diese Fragen führen dazu, dass der sich Verteidigende oft eine Anklage wegen Totschlags oder Körperverletzung zu befürchten hat.

Warum Staatsanwaltschaften oft streng prüfen

Die strenge Prüfung der Notwehr durch die Staatsanwaltschaft hat mehrere Gründe:

  1. Abgrenzung zu Selbstjustiz: Das Notwehrrecht darf nicht als Freibrief für überzogene Gewalt oder Selbstjustiz missverstanden werden. Die Staatsanwaltschaft muss sicherstellen, dass Verteidigungshandlungen wirklich gerechtfertigt waren.
  2. Schutz des Angreifers: Auch Angreifer haben Rechte. Die Staatsanwaltschaft muss prüfen, ob deren Leben oder Gesundheit in unverhältnismäßiger Weise verletzt wurden.
  3. Ex-post-Bewertung: Die Verteidigungssituation wird oft im Nachhinein, mit der Ruhe und Klarheit des Gerichtssaals, bewertet. Dabei werden die Unsicherheit und der Stress der Person, die sich verteidigte, manchmal unterschätzt.

Die Perspektive des sich Verteidigenden

Für die Person, die sich verteidigt, ist die Situation meist völlig anders. In Sekundenbruchteilen muss sie Entscheidungen treffen, die über Leben und Tod entscheiden können. Es bleibt keine Zeit für rechtliche Abwägungen oder die Überlegung, ob ein milderes Mittel möglich wäre. Die Rechtsprechung erkennt dies an, etwa in Fällen des Notwehrexzesses (§ 33 StGB). Wenn jemand in einer Panik- oder Angstsituation die Grenzen der Notwehr überschreitet, kann dies strafrechtlich entschuldigt sein.

Beispiel: Notwehrexzess

Ein Ladenbesitzer wird von einem Räuber bedroht und schießt mehrmals auf den Täter, obwohl dieser nach dem ersten Schuss bereits kampfunfähig war. Hier könnte ein Notwehrexzess vorliegen, da der Verteidigende in einer emotionalen Ausnahmesituation handelte.

Die Rolle der Gerichte

Die Gerichte sind angehalten, die Notwehrsituation aus der Sicht des sich Verteidigenden zu bewerten und dabei dessen Perspektive in der Gefahrensituation einzunehmen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu klare Maßstäbe gesetzt:

  1. Keine Fluchtpflicht: Der Verteidigende ist nicht verpflichtet, vor einem rechtswidrigen Angriff zurückzuweichen. Er darf sich entschlossen verteidigen.
  2. Subjektive Wahrnehmung: Es zählt, was der sich Verteidigende in der Situation wahrgenommen hat, nicht, was objektiv vorlag.
  3. Keine überzogenen Anforderungen: Die Gerichte dürfen keine überhöhten Maßstäbe anlegen, insbesondere nicht rückwirkend.

Fazit: Notwehr ist ein Recht, kein Privileg

Das deutsche Notwehrrecht schützt die Selbstverteidigung als Grundrecht. Dennoch zeigt die Praxis, dass Menschen oft das Gefühl haben, sich nicht nur gegen den Angreifer, sondern später auch vor Gericht verteidigen zu müssen. Es ist wichtig, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften den sich Verteidigenden nicht durch überzogene Anforderungen entmutigen oder kriminalisieren. Die Bewertung von Notwehrsituationen muss die Realität der Gefahrensituation berücksichtigen – schnell, bedrohlich und ohne Zeit für überlegte Entscheidungen.

Wer in eine Notwehrlage gerät, sollte sich seines Rechts bewusst sein: Der Angreifer trägt die Verantwortung für die Eskalation. Doch ebenso sollten sich alle Bürger über die Grenzen der Notwehr im Klaren sein, um unverhältnismäßige Gewaltanwendungen zu vermeiden. Am Ende bleibt die Notwehr ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Recht, Ethik und praktischer Gerechtigkeit.

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Notwehr im deutschen Strafrecht: Zwischen Recht und Vorwurf Zuletzt aktualisiert: 11.12.2024 von Bauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH