Betriebsvereinbarungen kündigen – das geht
Das erfolgreiche Kündigen von Betriebsvereinbarung durch den Arbeitgeber erfordert Planung und eine genaue Analyse der Rechtslage. Sonst kann es dazu kommen, dass die Bestimmungen der gekündigten Vereinbarung dennoch nachwirken. Das künftige Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat muss ebenfalls Teil der Überlegungen sein. In diesem Beitrag schildert Rechtsanwalt Markus Bauer, Fachanwalt für Arbeitsrecht mit Schwerpunkt im Mitbestimmungsrecht, welche Fallen Arbeitgeber bei der Kündigung von Betriebsvereinbarungen vermeiden sollten.
Welche Funktion hat eine Betriebsvereinbarung?
Eine Betriebsvereinbarung ist eine zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ausgehandelte, schriftlich abgeschlossene und von beiden Seiten unterzeichnete Vereinbarung (§ 77 Abs. 2 BetrVG): ein Vertrag, der bestimmte Aspekte im Unternehmen über den Einzelfall hinaus regelt.
Die Vereinbarung muss schriftlich und von beiden Seiten unterschrieben vorliegen. Andernfalls handelt es sich bestenfalls um eine reine Regelungsabsprache, die jederzeit widerrufen werden kann und zu keinen einklagbaren Ansprüchen führt.
Geregelt werden kann durch eine Betriebsvereinbarung jedes beliebige Thema innerhalb des vom Gesetzgeber und den Tarifparteien gesteckten Rahmens. Ausgenommen davon sind nur Fragen zu Arbeitsentgelten sowie anderen Arbeitsbedingungen, die bereits in einem Tarifvertrag festgelegt wurden (wenn dort nicht ausdrücklich eine ergänzende Betriebsvereinbarung vorgesehen ist.) Bei den sogenannten harten Mitbestimmungsrechten kann der Betriebsrat sogar auf dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung bestehen.
Harte und weiche Mitbestimmungsthemen
- Bei Themen der harten Mitbestimmungsrechte kann der Betriebsrat auf dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung bestehen. Kommt keine Einigung zustande, führt der Weg über die Einrichtung einer Einigungsstelle, die beide Seiten verlangen können.
Zu diesen Themen gehören unter anderem der Belastungsausgleich (§ 91 BetrVG), die Richtlinien für die Personalauswahl (§ 95 Abs. 1 BetrVG) sowie der Interessensausgleich und Sozialplan bei Betriebsschließungen. - Bei weichen Mitbestimmungsrechten ist dies anders: Können sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht einigen, kommt keine Betriebsvereinbarung zustande. Solche freiwillig regelbaren Themen sind beispielsweise die Einrichtung von Wirtschaftsausschüssen (§ 106 BetrVG) oder die Mitbestimmungsrechte bei geänderten technischen Anlagen, Abläufen und baulichen Änderungen (90 BetrVG).
Wie lange gelten Betriebsvereinbarungen?
Betriebsvereinbarungen können befristet oder unbefristet abgeschlossen werden, wie jeder andere Vertrag auch.
- Sind sie befristet, (oder ergibt sich die Befristung aus dem Zweck, etwa bei Urlaubsregelungen in einem bestimmten Kalenderjahr), enden sie spätestens nach Ablauf der entsprechenden Zeit. Natürlich können sie vorher schon auf andere Art enden, etwa durch eine Aufhebungsvereinbarung oder ein Urteil).
- Eine unbefristete Betriebsvereinbarung endet dann, wenn sie durch eine neue Vereinbarung zum selben Thema abgelöst wird. Diese Ablösung kann nur einvernehmlich erfolgen und nicht über eine Einigungsstelle erzwungen werden (LAG Köln, 05.03.2009, 13 TABV 97/08).
Ansonsten bleibt die Möglichkeit, eine bestehende Betriebsvereinbarung zu kündigen.
Kündigung einer Betriebsvereinbarung
- Soweit nichts anderes vereinbart worden ist, können Betriebsvereinbarungen mit einer Frist von drei Monaten ordentlich gekündigt werden (§ 77 Abs. 5 BetrVG). Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um eine freiwillige oder eine erzwingbare Betriebsvereinbarung handelt oder ob sie durch eine Einigungsstelle zustande gekommen ist.
- Alternativ kann die Betriebsvereinbarung auch durch einen Aufhebungsvertrag beendet werden.
- Eine außerordentliche Kündigung einer Betriebsvereinbarung ist ebenfalls möglich, und zwar dann, wenn einer der beiden Parteien das Einhalten der normalen Kündigungsfrist nicht zumutbar ist. Die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung regelt § 626 BGB. In der Praxis ist sind die Anforderungen hoch und außerordentliche Kündigungen deshalb selten.
- Die Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung ist nur möglich, wenn dies entweder ausdrücklich in der Betriebsvereinbarung vorgesehen ist, oder wenn es sich um einen unabhängigen und selbstständigen Regelungskomplex handelt, der auch in einer eigenständigen Betriebsvereinbarung geregelt werden könnte.
Praktische Aspekte
- Ein Kündigungsgrund muss nicht angegeben werden, eine Begründung ist nicht notwendig. (Aus bloßer Schikane darf die Kündigung natürlich nicht erfolgen.)
- Eine schriftliche Kündigung ist grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn es die Betriebsvereinbarung so vorsieht. Sinnvoll ist die Schriftform jedoch allemal.
- Die Kündigung kann mit einem Änderungsangebot verbunden werden – man bietet der Gegenseite also an, die Betriebsvereinbarung zu geänderten Bedingungen fortzuführen. Eine Änderungskündigung der Betriebsvereinbarung bedarf in jedem Fall der Schriftform.
Besonderheiten bei Betriebsvereinbarungen über betriebliche Altersvorsorge
Besonderheiten gelten bei Betriebsvereinbarung, wenn diese die betriebliche Altersvorsorge regeln und ihr Inhalt sich nicht darauf beschränkt, neu hinzukommende Mitarbeiter von der Versorgung auszuschließen.
Dann wird die Möglichkeit zur Kündigung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt. Praktisch bedeutet das:
- Zwingende Gründe sind notwendig beim Eingriff in bereits erdiente Teilbeträge
- Triftige Gründe sind nötig für den Eingriff in variable, dienstzeitunabhängige Berechnungsfaktoren.
- Sachliche Gründe sind für Eingriffe in die dienstzeitabhängigen Zuwächse erforderlich.
Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung über Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge sollte angesichts der rechtlichen Komplexität von einem Fachanwalt begleitet werden.
Nachwirkung gekündigter Betriebsvereinbarungen
Ist eine Betriebsvereinbarung gekündigt worden, muss geprüft werden, ob ihre Bestimmungen im konkreten Fall nachwirken, also trotz Kündigung gültig bleiben. Diese Stolperfalle ergibt sich unter bestimmten Voraussetzungen aus dem Gesetz.
Nachwirkung droht nicht nur bei ordentlicher Kündigung, sondern auch nach einer erfolgreichen außerordentlichen Kündigung der Betriebsvereinbarung, oder wenn eine befristete Betriebsvereinbarung nicht verlängert wurde.
- Handelt es sich um eine erzwingbare Betriebsvereinbarung, dann gelten die Regelungen so lange weiter, bis sie durch eine neue Regelung ersetzt werden (Nachwirkung der Betriebsvereinbarung, § 77 Abs. 6 BetrVG).
- Eine teilmitbestimmungspflichtige Betriebsvereinbarung über freiwillige Leistungen gilt nach der Kündigung nicht weiter, wenn der Arbeitgeber erreichen wollte, dass diese Leistung vollständig entfällt (und dies dem Betriebsrat und den Mitarbeitern so mitteilt, BAG, 10.12.2013, 1 ABR 39/12). Soll die freiwillige Leistung jedoch nur verändert und nicht vollständig eingestellt werden, besteht eine Nachwirkung (LAG Baden-Württemberg, 17.05.2017, 4 Sa 1/17).
- Bei Betriebsvereinbarungen, die sowohl erzwingbare wie freiwillige Regelungen enthalten, wirkt nur des erzwingbare Teil nach (BAG 09.07.2013, 1 AZR 275/12).
Fazit: Eine Frage der Strategie
Das erfolgreiche Kündigen einer Betriebsvereinbarung durch den Arbeitgeber hängt nicht nur davon ab, dass die Kündigung selbst gelingt. Wie in allen Fragen, die den Betriebsrat betreffen, muss es für diesen Schritt neben einer soliden rechtlichen Grundlage auch ein klares unternehmerisches Ziel geben.
Im schlimmsten Fall werden die Interessen des Arbeitgebers zurückgeworfen, weil die Kündigung sich als unwirksam erweist, oder weil die sich anschließende Situation aufgrund der Nachwirkung der Bestimmungen kaum Verbesserungen bietet. Vermeiden lassen sich solche Pattsituationen durch Verhandlungsgeschick, Erfahrung und mitbestimmungsrechtliche Kompetenz.
Markus Bauer, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt Markus Bauer ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und unterstützt von den drei Standorten seiner Kanzlei in Hannover, Hamburg und Hameln aus Arbeitgeber bei der Lösung arbeitsrechtlicher Herausforderungen. Die optimale Lösung mitbestimmungsrechtlicher Fragen ist ein besonderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit.